Das iPad Air (2020)
Der folgende Artikel ist über 8.000 Zeichen lang. Um ihn zugänglicher zu gestalten, habe ich ihn eingesprochen. Für Abonnenten von #one habe ich die Audiodatei zusätzlich in den persönlichen RSS-Feed eingestellt.
Das neue iPad Air sitzt zwar offiziell zwischen dem iPad und dem iPad Pro, konkurriert aber unbestritten um die Tablet-Spitzenposition. Der Abstand zum preiswertesten iPad ist deutlich; das Pro-Modell ist dagegen zum Greifen nah.
Dabei attackiert das neue Air insbesondere das iPad Pro 11“. Entweder Apple spendiert dem kleinen Pro im nächsten Jahr ein kräftiges Update (einhergehend mit einem höheren Verkaufspreis), oder stampft es ein. Die Überschneidung der zwei 11“-Geräte1 erscheint mir temporär und eine Auswirkung von diesem speziellen Jahr.
Anders dagegen präsentiert sich das iPad Pro 12,9“, das alleine durch seine Größe in einer anderen Liga spielt. Es wäre nur logisch, wenn Apple seinen iPad Pros in Zukunft noch größere Bildschirme spendiere würde.
Die signifikanten Unterschiede zwischen dem iPad Air und den zwei iPad Pros lassen sich an einer Hand abzählen: In den Pro-Modellen bekommt man höhere Speicher-Konfigurationen, ein ProMotion-Display und eine TrueDepth-Frontkamera. Die Anzahl der Lautsprecher (2 gegenüber 4), der LiDAR Scanner, die (Multicore‑)Performance (A12Z vs. A14) und der Arbeitsspeicher (4 gegenüber 6 GB) sollten im Moment keine Kaufentscheidung beeinflussen.
Noch deutlicher wird’s, wenn man nicht die Unterschiede, sondern die Ähnlichkeiten einander gegenüberstellt. Von TrueTone über den Apple Pencil 2 bis zum modernen Gehäusedesign, USB-C sowie der Kompatibilität zum Magic Keyboard gleicht das Air dem Pro auf Schritt und Tritt. All dies sind Aspekte, die für die meisten Nutzer_innen tatsächlich einen Unterschied machen.
Über ein USB-C-auf-Lightning-Kabel lässt sich auch am Air ein iPhone aufladen. Mit iPadOS 14 dürfen Entwickler sich auf allen iPad-Größen am dreispaltigen Layout austoben. Das war bislang dem iPad 12,9“ vorbehalten. Und das Anfassgefühl der flachen Kanten ist einfach modern.
Vor 2 Wochen habe ich mein iPad Pro 12,9“ zugeklappt und bin exklusiv aufs iPad Air gewechselt. Das Ergebnis ist eindeutiger als ich es mir vorgestellt hatte.
Auf dem etwas schmaleren Magic Keyboard tippe ich genauso flott wie auf seinem großen Bruder. Die wenigen Zentimeter, die das Air kleiner ist als mein Pro, sind bei der Arbeit am Schreibtisch kaum zu bemerken, aber extrem vorteilhaft auf der Couch. 11“ sind nicht nur eine ganz hervorragende Sofa-Größe, sondern insgesamt ein exzellenter Kompromiss bei einem spürbar geringeren Gewicht.
Touch ID spielt genau in solchen (Sofa‑)Situationen seine Stärke aus. Es sind Situationen, in denen man nicht aufrecht vor dem Bildschirm sitzt, sondern das iPad halb-liegend auf seiner Brust balanciert. Es sind Situationen, in denen man das iPad ohnehin in der Hand hat und nicht gezwungen wird die Hände von der Tastatur zu nehmen.
Magnetisch eingespannt am Magic Keyboard ist Touch ID nämlich umständlicher als lediglich in den Bildschirm zu schauen. Mein Muskelgedächtnis hat sich auch nach zwei Wochen noch nicht komplett umgestellt. Ich habe beide Zeigefinger für Touch ID registriert, denke aber bei jedem Entsperren immer noch eine halbe Sekunde darüber nach welche Hand wohin ausgestreckt werden muss.
Am Schreibtisch will ich nicht zu Touch ID zurück, obwohl die Geschwindigkeit des Sensors stimmt und ich mich auch nicht an dieser tollen Animation sattsehen kann.
Die gute Nachricht: Niemand sollte von einem iPad Pro mit Face ID auf ein iPad Air mit Touch ID wechseln. Wer sich in diesem Jahr – oder bereits vor zwei Jahren – ein iPad Pro gekauft hat, wechselt nicht aufs Air2.
Der größte Einschnitt ist für mich das fehlende ProMotion-Display. Die butterweichen 120 Hz fehlen (mir). Der Liquid-Retina-Bildschirm im iPad Air stottert beim Scrollen von Webseiten, anstelle die Pixel und Animationen mühelos über das Display zu schubsen.
ProMotion ist bekanntlich Apples Marketingname für eine variable Bildwiederholungsrate bis zu 120 Hz. Wenn man Textwüsten oder Webseiten scrollt, kleben dabei die Buchstaben auf dem Glas. Ohne ProMotion verschwimmt der Text; die Pixel bleiben gefühlt hängen. Und auch bei Filmen kann das iPad Pro im Gegensatz zum Air auf 24 Hz runterschalten.
Die gute Nachricht gilt aber auch hier: Wenn ihr nicht im Besitz von einem iPad Pro aus den letzten zwei Jahren seid, und eure Augen sich dementsprechend nicht an ProMotion gewöhnt haben, wisst ihr nicht was ihr verpasst.
ProMotion ermöglicht außerdem eine geringere Verzögerung beim Schreiben und Malen mit dem Apple Pencil. Das iPad Air nutzt zwar den gleichen Stift (2. Generation), malt jedoch mit der 20-Millisekunden-Verzögerung des Apple Pencil der ersten Generation. Die virtuelle Tinte klebt nicht direkt an der Stiftspitze, weil sich der Bildschirm dafür nicht schnell genug aktualisiert.
Um das zu spüren, muss man ein Auge dafür haben. Ich persönlich sehe den Unterschied bei der Darstellung von Text und Filmen auf dem Display, kann ihn aber kaum beim Pencil nachvollziehen.
Hinzu kommt: ProMotion bleibt praktisch der einzige echte Unterschied. Zwar strahlen die iPad Pros heller (500 nits gegenüber 600 nits), aber ohne ein iPad Air direkt danebenzulegen, sieht man es nicht. Mir fällt es nur dann auf, wenn beide iPad-Modelle gleichzeitig unter der Kamera liegen. In dieser kontrollierten Umgebung ist die maximale Helligkeit der Pros deutlich zu sehen.
In allen anderen Aspekten, gibt es keine Abstriche – egal ob wir auf den erweiterten Farbraum, TrueTone, die Pixeldichte oder die Kalibrierung schauen. Das Air ist hier absolut auf Augenhöhe der Pros.
Und das ist exakt mein Argument: Das iPad Air ist allen Gesichtspunkten, die für die meisten Leute relevant sind, so gut wie die Pro-Modelle – obwohl es dabei preiswerter ist.
Aber sprechen wir doch über den Preis.
In der Basiskonfiguration, in seiner Wi-Fi-Ausführung ohne Apple Care und mit 64 GB, kostet das Air sehr attraktive 630 Euro.
Teurer wird’s, wenn man 256 GB möchte und dafür 150 Euro zahlt. Auch Wi-Fi + Cellular3 kosten den Aufpreis von 130 Euro. Speziell diese beiden Upgrades setzen quasi alle preislichen Vorteile des iPad Air außer Kraft. Rüstet man das iPad Air auf, ist man bereits mit der höheren Speicher-Konfiguration beim Preis des iPad Pro 11“ in seiner 128-GB-Basiskonfiguration (800 Euro gegenüber 850 Euro).
Und das führt mich persönlich zu einer ungewohnten Empfehlung: Wenn ihr das iPad Air kauft, wählt seine Basiskonfiguration!
Mit 64 GB lässt sich auf keinen Fall bequem arbeiten, aber mit entsprechendem iCloud-Speicherplatz gehts. Ihr werdet damit keinen Platz für epische Filmprojekte in LumaFusion haben, aber kurze Familienvideos schneiden, exportieren und dann wieder löschen können. 64 GB sichern euch nicht offline alle Urlaubsfotos, aber wer fährt dieser Tage schon in den Urlaub mit Zugriff auf die iCloud-Fotomediathek passt es.
Man muss es leider so deutlich sagen: Das iPad Air ist eine absolute Empfehlung in seiner Basiskonfiguration, verspielt jedoch den Preisvorteil gegenüber dem kleinen iPad Pro, wenn man lediglich mehr Speicher möchte.
Und hier schließt sich der Bogen. Die Geschichte dieses iPad Air ist neu. Es geht zum ersten Mal nicht darum, was ihm gegenüber dem Pro-Modell fehlt, sondern welche Funktionen es aus dem iPad Pro entleiht und dabei auf eine mittlere Preisstufe zieht. Das iPad Air reicht Features, die bislang den Pro-Modellen vorbehalten waren, nach unten durch.
Für 630 Euro ist es mit wenigen nennenswerten Abstrichen für ganz viele Leute plötzlich sehr interessant. Es ist ein Rechner, den ich mir privat kaufen würde, wenn ich beruflich an ein Business-Notebook gebunden wäre. Es ist der Computer, in den ich für die Kids in ihrer Schulzeit investieren würde. Und es ist der Computer, der nur die Hälfte von Apples preiswertestem Laptop kostet.
- Das iPad Air hat offiziell zwar eine Bildschirmdiagonale von 10,9“, entspricht in seiner Höhe und Breite aber bis auf einen Zehntelmillimeter dem iPad Pro 11“. ↩
- Alleine weil euch durch die fehlende TrueDepth-Frontkamera dann Animoji und Memoji fehlen! ↩
- Ohne 5G. Und ich würde argumentieren, dass 5G weitaus besser auf einem iPad aufgehoben wäre als auf den iPhones. ↩