Apple Watch Series 5
Der folgende Artikel ist über 9.000 Zeichen lang. Um ihn ein bisschen zugänglicher zu gestalten, habe ich ihn eingesprochen. Hier könnt ihr die Audiodatei herunterladen und in euren bevorzugten Podcatcher werfen. Für Abonnenten von #one findet sich dieses File zusätzlich im persönlichen RSS-Feed.
Eigentlich, ja eigentlich ist die Series 5 schnell erklärt. Titan und Keramik sind zwei neue Gehäusematerialien; das neue „Always-On“-Display schaltet den Bildschirm der Uhr nicht mehr komplett ab.
„Was, das ist alles?“
„Mehr oder weniger, ja!“
Es ist aber nicht die eigentliche Geschichte, die diese Hardware-Generation erzählt.
Aber blicken wir zuerst auf die Mitbewerber. Oder genauer: die (weiterhin) fehlenden Mitbewerber.
Apple Watch bleibt die einzige ernstzunehmende Smartwatch. In den letzten fünf Jahren hat sich der Abstand zur Konkurrenz nicht verringert, sondern vergrößert. Mit prominenter Ausnahme von Apple herrscht ein regelrechtes Desinteresse an den tragbaren Computern fürs Handgelenk – den Wearables. Um überhaupt qualifizierte Konkurrenten zu finden, werden in typischen Gegenüberstellungen oft einfache Fitness-Tracker und spezialisierte Sportuhren aufgenommen. Das ist ähnlich hilfreich wie ein Vergleich zwischen Smartphones und Feature-Phones.
Samsung, Google und Fitbit fehlen aber nicht nur die (optisch) attraktiven Uhren, sondern ganz besonders auch ein (Software‑)Ökosystem und die hochspezialisierten Chips. Während Qualcomm eine breite Auswahl an Prozessoren für Telefone anbietet, sind diese Bausteine für Uhren immer noch nicht von der Stange zu kaufen.
Ganz ohne Ironie und Witz: Entweder Apple Watch läuft schnurstracks in eine Sackgasse oder die Uhr ist seiner Konkurrenz mindestens ein halbes Jahrzehnt voraus. Auf eine finale Antwort warten wir zwar noch ein paar Jahre, aber ich habe bereits eine heiße Vermutung in welche Richtung das Pendel schlägt.
Der Blick auf die fehlende Konkurrenz soll lediglich in Perspektive rücken, wie zielstrebig sich Apple mit seiner Uhr von Jahr zu Jahr weiterentwickelt. Alle zwölf Monate kreuzt die Watch ein großes ToDo auf der langen Aufgabenliste ab. In diesem Jahr ist es das „Always-On“-Display.
Series 4 und Series 5 besitzen den identischen OLED-Bildschirm. Neue Display-Treiber, ein erweiterter Umgebungslichtsensor sowie zusätzliche Prozessoren für die Stromversorgung ermöglichen den dauerhaft eingeschalteten Bildschirm – deshalb ist es ein exklusives Feature der Series 5. Und deshalb gibt es weiterhin keine Zifferblätter von Drittanbietern?!
Das „Always-On“-Display beeinträchtigt signifikant die Batterielaufzeit. Auf dem Datenblatt stehen wie letztes Jahr zwar weiterhin die identischen 18-Stunden1, aber die Series 4 hat uns im letzten Jahr mit seiner Laufzeit verwöhnt. Meine Uhr hielt gerne bis zum Nachmittag des Folgetages; mit der Series 5 lässt sich das nur dann erreichen, wenn man den Always-On-Modus ausschaltet.
Apple behauptete zwar nie dass die Series 4 länger als 18 Stunden durchhält, in der Praxis hat man sich aber an den großzügigen Spielraum gewöhnt. Das bedeutet: Wer seine Uhr über Nacht lädt, kommt auch weiterhin problemlos durch den Tag. Eine Umstellung ist es jedoch für mich, der die Uhr auch beim Schlafen trägt.
Die Series 4 habe ich im letzten Jahr meistens einmal am Abend aufgeladen – für ein oder zwei Stündchen bevor ich mich von der Couch ins Bett rolle. Jetzt nehme ich die Uhr meistens auch nach dem Aufstehen ab und pumpe Strom über das magnetische Ladekabel rein. Ich wünschte, die Uhr würde sich mittlerweile auch über normale Qi-Ladegeräte laden lassen. Bis die Kids dann gefrühstückt haben und angezogen sind, ist die Uhr meistens wieder vollständig aufgeladen.
Das klingt kompliziert, ist für mich aber nur eine Umgewöhnung. Eine Umgewöhnung, die mir das „Always-On“-Display ohne Zweifel wert ist. Und nochmal: Wer die Uhr lediglich von morgens bis abends trägt, stolpert meiner zweiwöchigen Erfahrung nach in keine Akku-Engpässe.
Ich habe ein paar Tage gebraucht die typische Armdrehung abzulegen, um dann die Uhrzeit abzulesen. Schwieriger war es jedoch den Ruhemodus zu erkennen und die Uhr erst antippen zu müssen, bevor ich das Zifferblatt per Wischgeste wechsle oder mir eine eingetroffene Benachrichtigung anschauen kann. Relativ häufig habe ich versucht auf dem gedimmten Bildschirm zu wischen – erfolglos, wenn man den Screen nicht vorher einmal berührt.
Befindet sich die Uhr im beschriebenen Ruhemodus, tippt euch für Push-Benachrichtigungen weiterhin die Taptic Engine an. Erst wenn ihr den Arm anhebt, wird euch die Information eingeblendet. Obendrein lässt sich unter ➝ Einstellungen ➝ Anzeige & Helligkeit und ➝ „Immer eingeschaltet“ noch die Option „Sensible Komplikationen ausblenden“ aktivieren. Damit verschleiert die Uhr alle Informationen, die sich in den von euch ausgewählten Komplikationen verstecken – von Kalenderterminen bis zu Erinnerungen.
Es besteht jedoch Verbesserungspotenzial: Wenn ich mit Apple Maps im Auto navigiere, verschleiert die Uhr im Ruhezustand seine Abbiegehinweise. Ein Seitenblick auf das Display der Uhr ist deshalb nicht möglich.
Natürlich existiert weiterhin eine Signalisierung dieser Abbiegehinweise über haptisches Feedback. Trotzdem wäre es generell hilfreich bestimmte Apps auch mit gedimmtem Screen einsehen zu können – auch wenn sich diese Darstellung dann nur sekündlich aktualisiert.
Ganz generell löst das „Always-On“-Display ein Problem, das seit der allerersten Generation existiert, und von dessen Lösung jeder in diesem Jahr trotzdem überrascht war. Die Uhr ist plötzlich eine Uhr – so banal diese Feststellung klingt.
Ein passionierter Uhrenträger ist beispielsweise mein Dad. Er trägt bereits seit Jahrzehnten täglich eine Explorer II und hat sich in diesem Jahr nun erstmals eine Apple Watch bestellt. Der Grund? Das „Always-On“-Display.
Und ich glaube, er ist kein Einzelfall. Mit diesem Feature und der Wiedereinführung der höherpreisigen „Watch Edition“ drückt Apple noch kräftiger in den traditionellen Mart für Armbanduhren.
Getreu dem Motto: „Fashion is back!“
Die nächsten Jahre der Watch sind nicht schwierig zu prognostizieren: Mehr Sensoren und bessere Algorithmen liefern mehr Informationen, die den Bereich Gesundheit und die sportlichen Aktivitäten ausbauen. Ich war allerdings ernsthaft enttäuscht, dass sich die Apple Watch Series 5 ohne Sleep-Tracking präsentierte – anscheinend müssen wir noch ein weiteres Jahr auf die von Apple abgenickte Funktion warten – bis dato füllt die App AutoSleep diese Lücke.
Darüberhinaus authentifiziert uns die Uhr. Die Entsperrung des Macs möchte ich nicht mehr missen. Mit macOS Catalina und watchOS 6 spart man sich obendrein die Eingabe von einem Administratorpasswort.
Das sind alles kleine Trippelschritte bis zur tatsächlichen Eigenständigkeit. Mit dem App Store auf der Watch und den direkten System-Updates wird die Abkapslung vom iPhone in diesem Jahr erneut vorangetrieben.
Die Watch plant sehr präzise das behütete iPhone-Nest zu verlassen – nicht mit einem großen Sprung, sondern in kleinen Schritten über viele Jahre. Wenn es dann jedoch einmal passiert, sollte man sich nicht wundern wenn die Uhr auch problemlos mit Android-Telefonen zusammenspielt.
Die Apple Watch startete zwar als Accessoire für das iPhone, aber diese Bindung ist nicht ihre Zukunft. Deshalb kämpft sich die Uhr peu à peu frei – das „Always-On“-Display könnte diesen Kampf um ihre Unabhängigkeit nicht symbolträchtiger zeigen.
Unterm Strich steht Apple Watch Series 5 abermals auf den breiten Schultern seiner älteren Geschwister. Wie in den Jahren zuvor kreuzt Apple erneut ein signifikantes Feature vom Wunschzettel. Diese Beharrlichkeit und dieser Scheuklappenblick, mit dem Apple seine Uhr in den letzten Jahren vorangetrieben hat, ist eine seltene Qualität.
Series 5 kann man als Besitzer einer Series 4 getrost auslassen; für jemanden, der jedoch noch eine Series 3 trägt, ist es ein fantastisches Upgrade.
Der S5 ist ein 64-Bit Dual-Core Prozessor und rund doppelt so schnell wie der S3 in der Series 3. Die digitale Krone besitzt haptisches Feedback, der Lautsprecher ist deutlich voluminöser und das Display rund 30-Prozent größer. Der Kompass hilft gläubigen Menschen beim Beten in eine bestimmte Himmelsrichtung. Mit 32 statt 16 Gigabyte passen doppelt so viele Songs, Hörbücher und Apps aufs Gerät. Außerdem übernehmt ihr mühelos alle Aktivitätsdaten und die bereits erworbenen Armbänder auf die neue Uhr.
Das Aluminum-Modell mit Glasdisplay ist weiterhin ein sinnvoller Einstieg; wer nach einem Jahr gefallen an der Idee dieser Uhr findet, greift zur Watch Edition, dessen Saphirglas nicht zerkratzt.
Spart euch als Neubesitzer die Zeit nach alternativen Armbändern zu suchen, sondern kauft euch ein zweites Band von Apple. Die Qualität stimmt und mehr als zwei Armbänder – eins für den Sport und eins für den Alltag – braucht es erstmal nicht.
Die fünfte Generation der Watch streicht mit ihrem „Always-On“-Display einen so zentralen Punkt vom Wunschzettel, dass sie für reine Fitness- und Gesundheits-Aufgaben mittlerweile überqualifiziert ist. Apple Watch kehrt deshalb zu seiner ursprünglichen Idee zurück: dem Computer fürs Handgelenk.
Und das ist die eigentliche Geschichte, die diese Hardware-Generation erzählt.