Das iPhone 14 Pro Max
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Zwei Wochen vor dem 14-Pro-Start wechselte ich vom vertrauten 13er aufs iPhone XS. Es war ein Versuch, den gängigen Upgrade-Zyklus von normalen Kund_innen nachzuvollziehen. Im Durchschnitt kaufen sie alle drei Jahre ein neues iPhone.
„Oh boy.“ Das waren zwei harte Wochen.
Hintergrund: Das Experiment ergab sich, weil meine bessere Hälfte auf ein iPhone 12 wechselte. Das XS wurde frei; mein Job war der Umzug ihrer Daten. So endete mein Ex-iPhone aus dem Jahr 2018 erneut in meiner Hosentasche.
Apples Vergleichsseite lässt das Ausmaß für mein temporäres Downgrade erahnen. Kein ProMotion, kein Ultraweitwinkel, kein Deep Fusion, kein Nachtmodus, keine Makrofotografie, kein Kinomodus, kein U1-Chip, kein LiDAR, kein 5G, kein Ceramic Shield und kein MagSafe. Dafür bekam ich die halbe Akkulaufzeit, eine 7-MegaPixel-Frontkamera und ein erheblich dunkleres Display.
Die Details der Kamera, die optische Bildstabilisierung mit Sensorverschiebung sowie die diversen Prozessor-Upgrades ignorieren wir für den Moment. Anstelle dessen sei daran erinnert, dass das wohlgemerkt der Vergleich zwischen einem iPhone XS und dem iPhone 13 Pro ist. Das 14 Pro Max traf erst am 16. September ein. Alle seine Neuerungen sind noch obendrauf zu legen.
Das kurzweilige Experiment fühlte sich wie eine zweiwöchige Zeitreise in die Vergangenheit an, die ich erst einmal nicht wiederholen muss. Obwohl das iPhone XS noch tadellos funktioniert, fehlte der Spaß an allen Funktionen, die sich seit 2018 angesammelt hatten. Neuerungen, die ich wohlgemerkt alle kannte.
Diese Summe aus Funktionen in unseren persönlichsten Computern verliert man mit Blick auf einen jährlichen Release-Takt aus den Augen. Es tut sich von Jahr zu Jahr immer noch eine Menge. Das ist allerdings nicht so offensichtlich, wenn man Telefone vergleicht, die lediglich 12 Monate auseinanderliegen.
iPhones lassen sich aber durchaus als eine Ansammlung von Features beschreiben. In diesem Jahr bekommt das Pro-Modell ein neues Kamerasystem, ein helleres Always-On-Display sowie die Dynamic Island.
„Dynamic Island“ wandelt eine (vermeintliche) Schwäche in eine Stärke. Es macht nicht nur Hintergrundaktivitäten sichtbar, sondern führt eine neue Form von Interaktivität ein, die ich auf ein Level mit dem signifikanten Umstieg von Touch ID zu Face ID (beim iPhone X) stelle.
Noch fehlt uns dort der Blick auf Dritt-Apps, trotzdem will ich nicht mehr ohne. Dort landet die Anzeige für den Klingeln/Lautlos-Schalter, laufende Sprachaufzeichnungen und Bildschirmaufnahmen, der AirDrop-Status, ein Hinweis auf den über FaceTime geteilten Bildschirm sowie Kurzbefehle.
Dynamic Island ist prominent, verspielt, organisch, clever, hilfreich und „here to stay“.
Kein Gerücht sah sie kommen; keine Firma gibt sich mehr Mühe, sie technisch so präzise und gleichzeitig drollig zu animieren. Ich empfinde die Unterscheidung zwischen „Antippen“ und „Längerer Druck“ als richtig gewählt. Eine längere Berührung startet auf iOS nämlich keine App. Die Dynamic Island ist allem voran ein Multitasking-Switcher und für „glanceable“ Informationen. Die Pop-up-Fenster sind für temporäre Eingriffe. Deshalb sind sie über eine bewusst ausgeführte Geste aufzurufen und keinen einfachen Tap zu starten.
Die Dynamic Island führte zu einer radikalen Minimierung der Aussparung für das Stereo-Lautsprecher/Mikrofon-Set. Dieser Lautsprechergrill ist nur noch unter bestimmten Lichteinfällen zu sehen; das Display wirkt, mit Ausnahme der Dynamic Island, als komplett vollflächig.
Apples eigene Software berücksichtigt zum Start noch nicht lückenlos die neue Interaktions-Insel. Sie zeigt jedoch Hintergrundprozesse, die vom Homescreen aus bislang nicht zu sehen waren, oder nur durch eine eingefärbte Uhrzeit erkenntlich gemacht wurden. Das ist absurd, wenn man mal darüber nachdenkt.
Dynamic Island trennt die Pro-Modelle von den Nicht-Pro-Modellen. Es ist das diesjährige Unterscheidungskriterium, nachdem die günstigeren iPhones nun alle auch große Bildschirme besitzen.
Dynamic Island funktioniert ausschließlich mit dem ProMotion-Display. Es ist ein „software user experience differentiator“, der Hardware voraussetzt. Es ist jedoch so verdammt gut, dass man sich die flexible Bildschirmaussparung für alle iPhones wünscht. Ob alle iPhone-Modelle dafür jedoch schon in den nächsten Jahren einen ProMotion-Bildschirm bekommen, bezweifle ich. Für ebenso unwahrscheinlich erachte ich es, dass Apple die Dynamic Island ohne ein 120Hz schnelles Display realisieren möchte.
Weniger Begeisterung kitzelt dagegen das Always-On-Display aus mir. Zugegeben: iPhones ohne „Immer-an-Bildschirm“ fühlen sich schon jetzt kaputt an. Trotzdem ziehe ich noch wenig Nutzen aus einem schnellen Seitenblick auf den gedimmten Sperrbildschirm. Das mag sich mit den kommenden „Live Aktivitäten“ aber noch ändern.
Ich würde das Feature nicht abschalten, wünsche mir aber noch mehr Gestaltungsmöglichkeiten für die dort sichtbaren Informationen.
Wer sich Zeit und Mühe mit seinem Set-up von (wechselnden) Hintergrundbildern und Widgets gibt, wird durch das Always-On-Display belohnt. Man schaut schlicht häufiger und länger auf seinen persönlichen Screen.
Das Always-On-Display schaltet sich unter bestimmten Bedingungen ab. Beispielsweise, wenn ihr euch mit einer gekoppelten Apple Watch entfernt. Mit einem älteren Modell der Uhr überrascht ihr dabei manchmal dieses Always-On-Display. Es aktiviert sich minimal zu spät; erst in dem Moment, in dem ihr wieder zum Telefon zurückkehrt. So war es bei meiner Series 4; bei der Series 7 habe ich das dagegen noch nicht bemerkt. Es ist ohnehin keine Kritik, sondern lässt mich eher schmunzeln, wie hastig die Uhr aufwacht und ruft: „Ich bin wach! Ich bin wach!“
Dieser Bildschirm zeigt die gleiche Spitzenhelligkeit in typischer Verwendung wie das iPhone 13 Pro, verdoppelte jedoch seine Lichtstärke (2.000 Nits) unter Sonnenlicht. Die iPhones zuvor – inklusive dem iPhone XS – führen 625 Nits auf ihren Datenblättern.
Anzumerken ist jedoch: Das menschliche Auge nimmt die Leuchtdichte – gemessen in Nit – logarithmisch wahr. 1.000 Nits empfinden wir nicht als doppelt so hell wie 500 Nits, aber trotzdem als deutlich lichtstärker. Daran gewöhnt man sich. Besonders auffällig wird es aber erst, wenn man wieder auf ältere – nicht so helle – Displays blickt.
Der Academy-Award – besser bekannt als die Oscarverleihung – zeichnet jedes Jahr Filmpreise in 30 verschiedenen Kategorien aus. Eine dieser Kategorien benennt die beste Nebendarsteller_in („best supporting actor/actress“). Die iPhone-Kamera hat ebenfalls solche Nebenrollen: 48-MegaPixel RAWs, Cinematic Mode in 4K, 2x Tele-Zoom, Action Modus für ruckelfreie Videos sowie den Autofokus der Frontkamera.
Während typischerweise die rückseitige Hauptkamera im Fokus der Berichterstattung steht, schaut eine große „Creator-Economy“ auf die TrueDepth-Frontkamera – von TikTok bis OnlyFans. Dort ist es keine „Selfie-Kamera“, sondern das primäre Objektiv. Zum allerersten Mal besitzt diese Linse im iPhone einen Autofokus mit Focus Pixeln. Das verbessert Gruppenaufnahmen, fokussiert auf Personen aus unterschiedlichen Entfernungen und hilft Bildern und Videos bei gedämmten (Indoor-)Lichtverhältnissen. Es ist für diese Zielgruppe ein echter Upgrade-Grund.
Der Kinomodus (Cinematic Mode) startete im letzten Jahr als „nette Spielerei“, entwickelte sich mit Software-Updates aber schon unterhalb des Jahres weiter. Trotzdem hätte ich nie vermutet, dass er den Sprung von 1080p auf 4K bereits 12 Monate später schafft. Es fühlt sich nach einem Modus an, der unterschätzt ist, obwohl er bereits kreativ von Filmemachern eingesetzt wird.
Meinen Workflow für ProRes-Fotos habe ich bereits auseinandergenommen. Die Kurzfassung: Knipsen, Bearbeiten, HEIC behalten und DNG wegwerfen. Alle modernen iPhones und iPads drehen selbst diese mächtigen 80-Megabyte-Bilder mühelos durch eine Bearbeitung. Von der Erstellung bis zur Veröffentlichung findet so der komplette Arbeitsablauf auf einem einzigen Gerät statt.
48-Megapixel-Fotos sind jedoch nur bei viel Licht in Betracht zu ziehen – oder wenn man Bilder stark zuschneiden respektive später auf Postergröße aufblasen möchte. In allen anderen Situationen sammelt euch der “quad-pixel sensor” mehr Licht für exzellente – rauschfreiere – 12-Megapixel-Fotos.
Hinzu kommt: Der Sensor streckt sich im Vergleich zum iPhone 13 Pro um 65-Prozent. Ohne Porträtmodus treten allein dadurch Hintergründe stärker aus dem Fokus. Mit älteren iPhone-Kameras musste man für diese Fotoästhetik extrem nahe an ein Objekt herantreten.
Alle diese Kamera-Eigenschaften kosten jedoch Platz. Der diesjährige Kamera-Buckel ist dick. Dass er sich immer noch in die linke obere Ecke auf der Gehäuserückseite quetscht, wundert mich nicht. Unverständlich ist mir jedoch, dass Apple weiter an den gleichen Hüllen festhält. Sie bieten keine Verbesserung in Bezug auf den einseitigen Kamera-Höcker. Und obwohl ich’s nie ausprobiert habe, erscheint mir Googles symmetrisches Kamera-Visier/Kamera-Bar der Pixel-Telefone über die gesamte Breite der Rückseite ausbalancierter.
Und wo bleibt überhaupt ein dedizierter Kamera-Button?!
Vor dem Fazit, noch ein paar einzelne Gedanken.
- Meine iPhones tragen kein Case; so sehe ich deren Farben. Ich hatte in den letzten Jahren Nachtgrün (iPhone 11), Pazifikblau (iPhone 12), Sierrablau (iPhone 13) und jetzt Dunkellila. Und jedes Jahr blicke ich neidisch auf die knalligen Farbtöne der Nicht-Pro-Telefone.
- Akkulaufzeit? Bei den Pro-Max-Telefonen ist das seit Jahren ein gelöstes Problem. An absehbaren Tagesverläufen verschwende ich keinen Gedanken an die Batterie von meinem Telefon.
- Der letzte Lightning Port? Darauf wette ich! Ich werde aber den Stecker vermissen; er steckt sich besser als USB-C. Da Apple seine Kabel aber nie signifikant weiterentwickelt hat, wird er nach 11 Jahren zurecht in Rente geschickt.
- Mich faszinieren die technischen Details der Unfallerkennung. Es ist trotzdem ein wenig traurig, dass die „Detection“ notwendig ist, weil politisch so wenig für die „Crash“-Verhinderung getan wird.
Es ist bemerkenswert, wie deutlich Apple im Post-Pandemie-Jahr die Pro-Modelle vom iPhone 14 (Plus) absetzt. Alle signifikanten Neuerungen finden sich ausschließlich in den zwei höherpreisigen Taschencomputern.
Diese Unterscheidung ist per se nicht neu (iPhone 8 / iPhone X), sie wurde aber noch nie so deutlich artikuliert. Als Enthusiast ist das iPhone 14 + 14 Plus in diesem Jahr erstmals … langweilig.
Nicht falsch verstehen: Es ist ein fantastisches Telefon. Es ist grandios für jeden, der zuvor etwa ein iPhone XS bei sich trug. Gleichzeitig unterscheidet es sich nur minimal gegenüber dem Vorjahr. Und das Telefon aus dem Jahr 2021 kennt der besagte Enthusiast bereits.
Speziell in den ersten Verkaufsmonaten wird sich diese Trennung deutlich im Geräte-Mix zeigen – zugunsten der zwei Pro-Modelle. Gleichzeitig könnten einige Kund_innen ihre Investition aber auch aufschieben. Vielleicht setzt der eine oder die andere dieses Jahr sogar aus. Ende Oktober gibt es in den Quartalszahlen darauf erste Hinweise.
Einen deutlichen Einfluss auf Neuanschaffungen hat die konstant wachsende Lebenszeit dieser Telefone. AppleCare+ deckt nun zusätzlich eine unbegrenzte Anzahl von Reparaturen bei unabsichtlicher Beschädigung ab – sogar für laufende Verträge. Akku-Wechsel sind mittlerweile günstig. Und betrachtet man die iOS-Abwärtskompatibilität als Lebensspanne, sind es inzwischen sechs Jahre.
Wie zuvor erwähnt: Mein iPhone XS aus dem Jahr 2018 war tadellos zu benutzen.
Hätte Apple ernst zu nehmende Konkurrenz im High-end-Smartphone-Markt, wäre diese deutlichere Trennung risikoreicher. Solange das aber nicht passiert, schieben sich die Investitionen von Käufern und Käuferinnen lediglich auf. Und das ist für sie nicht einmal schlecht: Die „Cutting-edge“-Funktionen von heute wandern in den nächsten Jahren in die Nicht-Pro-Modelle. Man muss sie nicht heute bezahlen, sondern bekommt sie beim nächsten Kauf inklusive.
Und das ist mein Fazit. Gebetsmühlenartig rüstete Apple bislang jedes Jahr jedes iPhone-Modell auf. Alle zwölf Monate kamen eine Handvoll Funktionen für alle neuen Modelle dazu. Alle Telefone waren Telefone für die Gegenwart. Die letzte Ausnahme dieser Regel war das iPhone X.
Das iPhone 14 Pro zweigt nach 5 Jahren nun erstmals wieder deutlich ab, und testet drei neue Features, bevor sie in den nächsten Jahren die anderen Modelle erreichen. Es kleidet sich zwar noch ins kantige Design der letzten zwei Jahre, richtet seinen Blick aber auf die Zukunft.
„Say hello to the future“ war der Slogan des iPhone X. Apple hätte ihn fürs iPhone 14 Pro noch einmal verwenden können.