Das iPad Pro (2020)

Der folgende Artikel ist über 9.000 Zeichen lang. Um ihn zugänglicher zu gestalten, habe ich ihn eingesprochen. In diesen zehn Minuten findet sich auch eine Demonstration der „studio-quality microphones” aus dem iPad Pro. Für Abonnenten von #one habe ich die Audiodatei in den persönlichen RSS-Feed eingestellt.


Das iPad Pro aus 2020 ist ein „waschechtes spec-bump-update“ – so wie MacBooks und PCs sie seit jeher erhalten. Sprich: Wer in diesem Jahr kauft, bekommt einen aktuellen Computer, und nicht den Computer aus 2018.

Die Käufer freut es, weil sie „State-of-the-art“-Technik shoppen, die neben einer Handvoll neuer Features auch eine längere Lebenszeit für das Gerät verspricht.

Ein „spec-bump-update“ bedeutet aber auch: Es gelten ähnliche Spielregeln wie bei den Macs: Wer auf „the Latest and Greatest“ verzichten kann (LiDAR, WiFi 6, mehr Arbeitsspeicher1 und einen schnelleren Grafikprozessor), der bekommt vielleicht ein günstigeres iPad Pro aus dem Jahr 2018. Dieses erste iPad Pro mit Face ID, der zweiten Hardware-Generation des Apple Pencil, USB-C und einem Bildschirm, der sich in alle vier Bildschirmecken streckt, der war so gut, dass ich dieses Modell noch heute bedenkenlos empfehle – insbesondere wenn ihr es irgendwo preiswerter schießt.

Gleichzeitig heißt das: Niemand muss sich Gedanken darüber machen von einem 2018er-Modell auf das neue iPad Pro zu wechseln. Nirgends ist das deutlicher als mit einem Blick auf den Prozessor: Das Silizium ist identisch. Einziger Unterschied: Statt sieben sind nun acht GPU-Kerne einsatzbereit.

Aber bleiben wir noch einen Moment beim Upgrade-Zyklus. Wer noch die zweite Generation des iPad Pro benutzt – dies ist das letzte Pro-Modell mit Touch ID – der vergleicht den A10X Fusion Chip mit dem A12Z Bionic Chip. In punkto Grafikperformance ist der aktuelle Chip zweieinhalbmal so schnell wie der A10X aus dem Jahr 2017. Sprich: Die GPU-Geschwindigkeit hat sich in den letzten drei Jahren fast verdreifacht.

Der Blick auf die reine CPU- und GPU-Performance zeichnet natürlich nur das halbe Bild: Entscheidend ist die Zuteilung von Aufgaben an die dazu passende Recheneinheit – insbesondere betrifft das die Neural Engine. Apples älteren Prozessoren fehlt der dedizierte Chip für maschinelles Lernen, der laut Phil Schiller dieser Tage konstant läuft – angefangen bei der Erstellung von Fotoerinnerungen, über die Identifizierung der Umgebung für AR bis zur Gesichtsmuskelanpassung von Memoji und Animoji.

Die Neural Engine zeichnet eine deutliche Trennlinie zwischen alter und neuer Hardware. Apples A11 war der erste Chip mit Neural Engine. Der A11 saß jedoch nie in einem iPad (sondern nur im iPhone), weshalb der A12X aus dem Jahr 2018 der erste Apple-Prozessor mit Neural Engine in einem iPad Pro ist. Das iPad Pro 2020 ist demnach erst das zweite Pro-Modell, dass die „real-world benefits“ der Neural Engine sieht.

Diese Neural Engine mit 8 Kernen, die bis zu 5 Trillionen Operationen pro Sekunde ausführt, ist neben dem LiDAR Scanner das schlagende Argument, wenn man ein Upgrade von einem älteren iPad-Modell in Erwägung zieht.

Doch bevor ich zum LiDAR Scanner komme: Die Kameras im iPad Pro 2020 sind auf dem Stand der Technik von 2018. Keinesfalls schlecht, aber auch nicht das Beste™ was Apple derzeit zu bieten hat.

Die vorderseitige TrueDepth Kamera bleibt bei 7 Megapixeln, wohingegen das iPhone 11 dort bereits 12 Megapixel verzeichnet und so Videoaufnahmen in 4K mit erweitertem Dynamikbereich schießt. Und natürlich Slofies aufnimmt…

Die zwei rückseitigen Kameras – einmal Weitwinkel (12 MP, ƒ/1.8 Blende) und einmal als Ultraweitwinkel (10 MP, ƒ/2.4 Blende ) erreichen ebenfalls nicht die Qualität der aktuellen Apple-Telefone. Und ein Teleobjektiv wurde erst gar nicht verbaut.

Es schmerzt, dass (anscheinend) die Hardware der Software die Features vorenthält: Night Mode, Deep Fusion und den rückseitigen Porträt Mode sucht man vergeblich.

Natürlich ist das iPad-Gehäuse dünner als die iPhones (5,9 mm gegenüber 8,1 mm), aber die fortlaufende Ungleichbehandlung der Kameras verwundert. Verdient das iPad PRO kein Pro-Kamerasystem? Wäre es nicht vorteilhaft, wenn man iPhones und iPads für Projekte mit mehreren Kameras beliebig mischen könnte? Und ist es nicht auch für Apple einfacher (und günstiger) nur ein einziges Kamera-Modul zu entwicklen, das dann sowohl auf allen Telefonen und allen Tablets läuft?

Anscheinend nicht.

Der Lichtblick nennt sich LiDAR – „Light Detection and Ranging”. Das Modul erlaubt eine genauere Erfassung der Umgebung von bis zu fünf Metern. Augmented Reality dankt.

AR-Apps erkennen flotter Oberflächen und Gegenstände. Apples hauseigene Maßband-Anwendung ist augenblicklich einsatzbereit (und ermittelt die Größe von Personen und erkennt automatisch Fenster), während man ohne LiDAR die Kameras für eine Kalibrierung erst für ein paar Sekunden durch den Raum schwenkt. Aber machen wir uns nichts vor: Das alles ist eine Trockenübung – ein Probelauf – bis dieser „3D-Sensor” in ein paar Monaten im iPhone aufschlägt.

Das wird dann der eigentliche erste Schritt, bevor wir in ein bis zwei Jahren die virtuellen IKEA-Möbel über eine Brille durchs Wohnzimmer schieben (oder ersthaft dort „The floor is lava” spielen). LiDAR ermöglicht „room scale scanning” und ist eine Investition in die Zukunft, aber im Moment noch ohne Anwendungsfall.

Bereits im iPad Pro 2018 platzierte Apple „five microphones”. Im 2020er-Modell sind es fünf „studio-quality microphones”. Die Qualität der Mikrofone empfinde ich in einer direkten Gegenüberstellung als gleichwertig; im Vergleich mit anderen Computern klingen die Aufnahmen aber fantastisch. In der eingesprochenen Version von diesem Artikel versuche ich das zu demonstrieren.

Was die integrierten Mikrofone in punkto Musik leisten, zeigt diese Demonstration.

Alternativ kann man jederzeit ein externes Mikrofon anschließen – direkt via USB-C, so wie beispielsweise das kompakte Røde NT-USB Mini (Affiliate-Link). Es ist genau das Mikrofon, mit dem ich diesen Artikel in seiner Audio-Fassung direkt am iPad aufnehme. Dafür verwende ich natürlich die App Ferrite.

Nach zwei Jahren mit dem iPad Pro 2018 (und knapp zwei Monaten mit dem neuen iPad Pro 2020), bestätigt sich mein Fazit von vor zwei Jahren: „Der Mac hat sich für mich zu einem stationären Computer entwickelt; das iPad ist meine Maschine für überall.

Und das ist nicht mehr nur örtlich zu verstehen. Das iPad passt sich (mir) an. Sobald man eine App wechselt, wechseln auch die Möglichkeiten dieses Computers. Sein Zubehör hievt das „single piece of glass“ auf eine neue Stufe. Diese Stufe erreicht kein Smartphone und auch kein Laptop. Der Pencil, das Magic Keyboard2 und die inzwischen universelle USB-C-Schnittstelle erledigen Jobs, bei denen das iPad in den Jahren zuvor schwächelte. Die nächste Herausforderung: eine richtige Unterstützung von externen Bildschirmen.

ToDo-Apps wie Onmnifocus und Things nennen diese unterschiedlichen Aufgabenbereiche „Context” und „Area”. Beide Begriffe umschreiben die verschiedenen Situationen in denen sich unterschiedliche Aufgaben abspielen – egal ob beruflich oder privat. Pencil und Magic Keyboard erweitern diese unterschiedlichen Anwendungsbereiche für das iPads.

Auch die Kameras, der Mobilfunk- und WiFi-Chip sowie die Mikrofone und Lautsprecher kann man als einzelne Komponenten für einen Kontext verstehen. Alle diese Einzelteile werden besser, wenn der Computer, der sie verbindet, ebenfalls besser wird. Deshalb war dieses „spec-bump-update“ wichtig. Deshalb war es beispielsweise wichtig, die 64 GB-Version abzuschaffen und erst bei 128 GB-Speicherplatz loszulegen.

Und apropos loslegen: Das iPad bleibt weitgehend wartungsfrei. Das ist eine seiner wertvollsten Eigenschaften. Hier muss man nichts aufräumen, wegsortierten, verwalten, hochfahren oder nochmal neu starten. Backups und Updates laufen automatisch. Programme und Benachrichtigungen springen euch nicht vor die Nase und unterbrechen die Arbeit.

Was iPadOS fehlt, und wo es zu kurz greift, ist und bleibt eine anhaltende Diskussion. Es ist eine wichtige Diskussion, aber sie sollte nicht von der Zuverlässigkeit, der Geschwindigkeit, den Apps und dem Zubehör ablenken, die das iPad Pro weiterhin zu meinem Lieblingscomputer macht.


      1. Alle iPad Pros aus diesem Jahr besitzen 6 GB Arbeitsspeicher. Im iPad Pro 2018 war lediglich das 1 TB-Modell mit dieser Arbeitsspeichergröße ausgestattet. 
  1. Apples Trackpad-Tastatur-Kombo habe ich (natürlich!) nicht vergessen. Das Accessoire bekommt aber einen eigenen Artikel.