Der Wunsch nach einem Präzedenzfall
This is a seminal battle between the biggest tech company on the planet and the most powerful government on the planet. This is why it’s important that we don’t get mired down in technicalities. For Apple, and for us, this is not a question of can we, but a question of should we. A question that will have implications for everyone from journalists to heads of state to private citizens of all countries.
Matthew Panzarino | „Why Apple Is Fighting Not To Unlock iPhones For The Government“
Die „technicalities“ sind interessant – keine Frage. Schlussendlich sind es aber die Motive, die zeigen worüber hier eigentlich gestritten wird.
Apple iPhone #privacy pic.twitter.com/4eJgL5ktpX
— Shaun Dakin (@UsefulPrivacy) 21. Februar 2016
Die amerikanische ‚Intelligence Community‘1 hofft auf einen Präzedenzfall, auf den man sich beim nächsten Mal wieder berufen kann, ohne sich dann erneut einer Diskussion über Konsequenzen oder Prinzipien stellen zu müssen. Obwohl das richterliche Gesuch eng formuliert ist (es geht um ein iPhone 5c und um modifizierte Software, die nur auf diesem eindeutig identifizierten Gerät – im RAM – läuft) entspricht das nicht ansatzweise den mitschwingenden Hoffnungen. Das US-Justizministerium zögerte beispielsweise keinen Tag um kundzutun, dass man da doch noch 175 Telefone in einer Schublade hätte, die auf den Ausgang der Gespräche zwischen Apple und dem FBI warten.
Noch deutlicher zeigt sich die Anspruchshaltung im offenen Brief von FBI-Chef James Comey. Sein Schrieb ist eine Beleidigung für alle Beteiligten, die mehr als nur Wahlkampf mit diesem Terroranschlag betreiben. „We Could Not Look the Survivors in the Eye if We Did Not Follow this Lead“ – während man existierenden Beweise, so wie die bestehenden iCloud Backups, durch einen unbedachten Passwortwechsel der Apple ID, den man zwischenzeitlich versuchte dem San Bernardino County Department of Public Health unterzuschieben, fahrlässig verspielte.
Ihr Statement zum Thema zeigt entweder a) Unfähigkeit oder b) Unehrlichkeit:
FBI must clarify which of these two meanings their letter had. Either the FBI has recklessly interfered with the processing of evidence OR FBI has mislead the courts on the amount and the nature of assistance required by Apple under the All Writs Act.
Für mich bleibt das Problem ein fehlgeleitetes Selbstverständnis, mit dem die US-Sicherheitsbehörden hier einen Zugriffsanspruch – no matter what – auf alle Datensätze erheben, ungeachtet der Tatsache, das echte Terroristen dann einfach anders verschlüsseln.
Will just put this here… #AppleVsFBI #privacy pic.twitter.com/tqXaEiWdE3
— PrivaCern (@PrivaCern) 21. Februar 2016
Es steht außer Frage, dass das Thema komplex, vielschichtig und allem voran schwierig zu erklären ist. Mit Trump-Rhetorik, so wie sie Comey an den Tag legt, wird’s plötzlich alles ganz einfach. Deshalb hat das FBI die Diskussion auch in die Öffentlichkeit gezerrt.
Although this case is about the innocents attacked in San Bernardino, it does highlight that we have awesome new technology that creates a serious tension between two values we all treasure: privacy and safety. That tension should not be resolved by corporations that sell stuff for a living.
„Corporations that sell stuff for a living“ – wow. Zwischenzeitlich beschleicht einen das Gefühl, Apple, WhatsApp, Twitter, Google, Facebook und Microsoft tun mehr für Bürgerrechte als Regierungen und deren Organisationen. Es geht nicht darum blind einer Firma und ihrem Verständnis von Sicherheit zu folgen. Wie schwierig es ist einen gemeinsamen Nenner zu definieren, beispielsweise im Vergleich zwischen Europa und den USA, erleben wir regelmäßig bei App-Store-Urteilen, die nicht technisch begründet sind.
Nein, wenn wir (ernsthaft) darüber diskutieren Verschlüsselung aufzuweichen, indem wir standardisierte Methoden etablieren um diese auszuhebeln, hilft das wahrscheinlich nicht bei der Aufklärung von schwerem Verbrechen, führt aber ganz sicher zu mehr Straftaten wie Identitätsdiebstahl und Datenmissbrauch.
:-) pic.twitter.com/st0GYdEUAR
— halvarflake (@halvarflake) 22. Februar 2016
Die undankbare PR-Arbeit, die Apple im Moment gezwungen ist stellvertretend für eine ganze Branche anzunehmen, zeigt sich pointiert. Und selbst wenn der Fall am Freitag komplett zugunsten von Apple vom Tisch gewischt wird: Das nächste ‚Hight-Profile-Case‘, die nächste richterliche Anordnung und der nächste Versuch politisches Kapital aus einem Attentat zu schlagen, ist vorhersehbar.
„You can’t build a backdoor without weakening security.“ Eine sehr realistische Chance besteht aber Systeme so zu bauen, dass viele der Daten einzig und allein im Zugriff des Besitzers einer Hardware oder der Eigentümerin von einem Onlinekonto bleiben. Daten, die nicht anfallen, lassen sich nicht weitergegeben. Apple hat in den letzten Jahren sukzessive einige seiner Dienste entsprechend umgebaut. Das war vorausschauend, wie sich dieser Tage einmal mehr zeigt.
- …um unfair zu verallgemeinern… ↩