Mailbox, oder wie ich lernte, den Hype zu lieben
Seit Donnerstag teste ich Mailbox (kostenlos; App-Store-Link) – die App mit der Warteschlange.
Der Hype war im Vorfeld perfekt aufgeschaukelt, das Review-Embargo zum Download-Start durchexerziert (1, 2 oder 3) und die Wartemarken, die die Anwendung gegen eine Registrierung herausrückt, sind das finale Puzzlestück der Inszenierung. Damit gehörte das vergangene Wochenende einer iPhone-Email-Anwendung für Gmail-Kunden.
Grundsätzlich verwundert das jedoch nicht: Sparrow erzeugte ein ähnlich großes Aufsehen. Die Gründe ähneln: Dem App Store mangelt es an guten E-Mail-Apps. Hinzu kommt, iOS lässt weiterhin nicht zu, Standard-Anwendung festzulegen. Alleine dieser Umstand treibt Nutzer mit rebellischem Gemüt zu anderen Programmen. Gleichgültig, dass für ein bisschen Push-Action alle E-Mails über die Server des Start-ups getrieben werden. Ein ‚Privacy Problem‚? Mit Blick auf die Warteschlange scheint dem nicht so.
Ich habe zwei klare Probleme mit der Anwendung – einmal technisch, einmal politisch.
- Mailbox geht von der Annahme aus, das ich die Kontrolle über mein Posteingang verloren habe. Es setzt auf Zuordnung, Kategorisierung und Erinnerungen. Mails lassen sich beispielsweise ausblenden und erscheinen nach einigen Stunden erneut in der Inbox. Klingt nicht dumm, aber so arbeite ich nicht. Öffne ich Mail, beantworte oder lösche ich Nachrichten. Nur in ganz ausgewählten (hartnäckigen) Fällen leite ich elektronische Post an meine ToDo-Liste in OmniFocus weiter.
- Keine App setzt deutlichere Zeichen für eine freundliche Übernahme. Sparrow verlangte für sein Produkt Geld; Mailbox skaliert ausschließlich über Accounts. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren wenn IMAP-Postfächer im nächsten Update als In-App-Kauf angeboten werden. Solange jedoch die Prioritäten so eindeutig in Richtung Aufkauf ausfallen und völlig offen ist, wie Orchestra Geld verdienen möchte, ist das für mich als Kunden nicht sehr reizvoll.
Mailbox könnte sich die benötigten Server-Ressourcen für den derzeitigen Ansturm mit Leichtigkeit erkaufen wenn sie für ihre Anwendung Geld verlangen würden. Tun sie aber nicht. Das ist eine klare Aussage.
Trotzdem ist zu betonen: Mailbox sieht wundervoll aus und stellt clevere Gesten bereit, die insgesamt den Umgang mit Emails freundlicher gestalten. Das ist viel Wert. Auch deshalb, weil es (wie bereits betont) eine Unterversorgung von mobilen iOS-Mail-Clients gibt. Zugegeben: Mit Unterstützung von anderen Email-Anbietern würde ich die Anwendung als meinen (Standard-)Mail-Client ausprobieren (Google-Apps-Konten lassen sich nur über ihre primäre Domain eintragen).
Zu wünschen ist dem Team, dass sie den richtigen Spannungsbogen finden, um den inszenierten Start-Hype rund um die Wartenummern, erfolgreich in aktive Nutzer zu konvertieren. Weil: Wann ist der Zeitpunkt erreicht, wenn Leute die App löschen weil sie sich innerhalb von drei Tagen nur um 200.000 Position ’nach vorne‘ bewegt haben?
Wer nach einem Gefühl für diese Gratwanderung sucht, die das Start-up gerade durchmacht, schaut in die App-Store-Rezensionen (Spoiler: aktuelle Durchschnittswertung weltweit: 2.5 Sterne).