Der neue Apple TV

Für hübsche Dinge gebe ich gerne Geld aus. Der neue Apple TV bietet (mir) im Vergleich mit allen anderen Set-Top-Boxen die einladendste Benutzeroberfläche. Gleichzeitig rollt er sich selbst ein paar Steine in den Weg, die ich gedanklich auch nach den ersten drei Monaten noch nicht weggerollt bekam.

Ein erstes Resümee.

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Zugegeben: Es ist ein bisschen bequem mit zeitlichem Abstand auf den Release zurückzublicken. Viele der Software-Einschränkungen, die noch zum Start im Oktober die Diskussion beherrschten, sind mittlerweile behoben, beziehungsweise ist eine Lösung in Aussicht gestellt. Siri Remote sucht inzwischen auch Musik, der Keyboard-Support ist in Vorbereitung, Apples Remote-App (universal; kostenlos) und Apple Watch steuern mittlerweile wieder die Fernsehbox, die Podcast-App schafft es in das neuste Software-Update und ein Zugriff auf die vollständige iCloud-Mediathek wurde in der letzten Beta in Aussicht gestellt.

Dass alle diese Features (irgendwann) kommen, war klar. Warum sie allerdings am Release-Tag vorbeirauschten, bei einer TV-Box, die sich über mehrere Jahre in der Entwicklung befand, bleibt unbeantwortet und wirkt symptomatisch für das gesamte Produkt. Einige Funktionen wirken zuverlässig und robust – fast abgehangen –, andere Features scheinen auf den letzten Metern noch schnell in den Programmcode kopiert (und wiederum anderen gelang es erst über den Beta-Umweg in ein Punkt-Update).

Diese Widersprüchlichkeit prägte den ersten Eindruck. Dass die iOS-App zur bequemen Eingabe der Account-Daten fürs Netflix-Passwort und für die (vor allem in den USA) populären Kabelfernseh-Konten nicht zum Start verfügbar war, färbte die Reviews.

Nun kauft ohnehin nur eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Kunden neue Hardware direkt zum Start. Im Schwung der ersten Testberichte bleiben diese Unzulänglichkeiten trotzdem dauerhaft hängen. Zurecht: Release-Reviews können immer nur so ein Produkt bewerten, wie es zum Testzeitpunkt vorliegt und nicht was dafür versprochen wird.

Apple weiß, wie wichtig der Ersteindruck ist. Sie investieren für alle ihre Produkte viel Geld und Ressourcen in den „Überraschungseffekt“. Wir werden es wohl nie komplett aufklären, aber der Apple-TV-Release, mit seiner anscheinend zurückgezogenen Vorstellung zur WWDC, den Beta-Geräten, für die sich Entwickler und die Entwickler-Presse anmelden konnten, sowie dem möglicherweise anvisiertem aber geplatzten TV-Bundle-Deal, erscheint rückblickend in vielerlei Hinsicht ‚out of character‘.

Wenn man die (zwischenzeitlichen) Versäumnisse aber einmal ausklammert, so wie ich das tun kann weil mittlerweile drei Monate vergangen sind, wirft das einen deutlicheren Blick auf die Pros und Cons.

Siri Remote

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Apples Fernbedienung wirkt im Vergleich mit der Konkurrenz wie eine kleine Offenbarung. Das Touchpad unter dem Daumen zeigt, wie man im Jahr 2016 einen Fernseher bedient. Der Sprung von einer traditionellen Tasten-Fernbedienungen hin zum Touchpad erinnert mich ans erste iPhone. Schon damals war klar: Die Bildschirmtastatur ist den in Plastik gegossenen Buttons um Längen voraus – vielleicht noch nicht in seiner ersten und zweiten Auflage, aber gewiss auf lange Sicht.

Das Touchpad der Siri Remote, nur für sich genommen, ist die beste Idee am neuen Apple TV. Es ist einer der Gründe sich für Apples TV-Box zu entscheiden (und gegen eine der anderen Entertainment-Kisten).

Having said that…

Die Siri-Sprachsteuerung, die Apple deutlicher als das Touchpad in den (Marketing‑)Mittelpunkt stellt, verwende ich ganz selten und dann auch nur eine Suchebene tief. Die Verknüpfung, „Zeige mir alle James-Bond-Filme…“ mit der Anschlussfrage „…nur die mit Roger Moore“, ist technisch beeindruckend, aber noch nichts was mir in Fleisch und Blut übergegangen wäre.

Das größte Problem mit Apples TV-Fernbedienung ist die Anordnung seiner Tasten. Mehrere Generationen von iPhone-, iPad- und iPod touch-Kunden haben gelernt: Der Homebutton steht alleine und ist am unteren Gehäuserahmen mittig platziert. Immer. Überall. Außer auf der Apple-TV-Fernbedienung.

Außerdem zweifle ich an, dass wir eine eigenständige Siri-Taste benötigen. Der iPhone-Shortcut über den Homebutton zu den Sprachbefehlen ist bereits über vier Jahre alt. Warum macht Apple sich dieses Kundenwissen nicht zum Vorteil (um beispielsweise die Fernbedienung noch minimalistischer zu gestalten)?

An Ideen mangelt es nämlich nicht.

Positive Nebenwirkung dieses Mock-ups von Rene Ritchie: Die zwei kaum zu unterscheidenden Hälften der Fernbedienung, die oft zu ungeplanten Filmsprüngen führen wenn man ungewollt aufs Touchpad greift, lässt sich vermeiden. Getreu dem Motto: Weniger Symmetrie, mehr Alltagstauglichkeit.

Also. Siri Remote bekommt von mir zwei Daumen runter, einen hoch.

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Formfaktor

Ich verstehe das dickliche Hockey-Puck-Design nicht. Es ist kein Hingucker und lässt sich mit seinen unförmigen Abmessungen obendrein schwierig verstecken. Meine (hohe) Erwartungshaltung an Apple war: Entweder baut ihr die Box so hübsch, das ich da dauerhaft draufschauen will, oder so funktional, dass sie clever (hinter dem Fernseher) verschwindet. Die Zeiten von Infrarot sind nämlich vorbei; dank Bluetooth ist kein Sichtkontakt zur Fernbedienung mehr nötig.

Apple wählte keine der beiden Möglichkeiten und nimmt mir dabei nicht die Entscheidung ab, wo diese Box zu stehen hat. Dass Apple keinen Vorschlag mitliefert, keine Meinung äußert, so dass (mindestens) zwei Kabel und eine (unspektakulär gestaltete) Box aus dem Blickfeld wandern, bedauere ich.

Ohne das Thema zu überspannen, aber das Case-Design wirkt deshalb unüberlegt. Der Verzicht auf einen separaten Audioausgang ist eine Entscheidung. Diese Entscheidung schmeckt bestimmt nicht jedem, aber es ist zumindest eine Entscheidung. Das Gehäuse der Box drückt sich dagegen vor einer klaren Ansage1.

tvOS und Apps

Konträr zur Hardware zeigt sich die Software in guter Verfassung. Apples tvOS ist die richtige Idee mit einer soliden ersten Ausführung. Die Anordnung der Apps auf dem Grid ist nicht spektakulär, leuchtet aber ein und steckt wahrscheinlich jede Smart-TV-UI in die Tasche (auch wenn das natürlich nicht die Messlatte sein soll).

Details wie die Bildschirmschoner sind ein kleines Highlight. Die feine Sound-Verlagerung beim Wischen über die App-Auswahl, bei der sich ein Klangeffekte vom rechten auf den linken Kopfhörer schleicht (oder umgekehrt), hat seinen Charme bislang nicht verloren. Die Unterstützung von Bluetooth-Kopfhörern – auch wenn gleichzeitig nur ein Paar verbunden sein kann – ist für mich ein ‚Game Changer‘.

HDMI-CEC ermöglicht es das die Siri Remote nicht nur die TV-Box aus dem Standby-Schlaf reißt, sondern auch den Fernseher ein- beziehungsweise ausschaltet sowie den passenden HDMI-Eingang wählt. Bei mir funktioniert genau das einhundertprozentig zuverlässig. Ich möchte diese Funktion nicht mehr missen. Genau genommen möchte ich nie wieder meine Samsung-TV-Fernbedienung in die Hand nehmen.

Wer erinnert sich noch? Als eines der Top-Argumente, warum Apple nicht nur eine Set-Top-Box bauen soll, sondern gleich einen ganzen Fernseher, galt der Input-Wechsel. Die Theorie war: Apple kontrolliert das Produkterlebnis gerne von vorne bis hinten. Eine Entertainment-Box ist immer nur Zubehör, die Kontrolle über den Fernseher ist damit nicht zu gewinnen. Mit HDMI-CEC, tvOS und einem halbwegs aktuellen TV-Modell kommen wir diesem Kontrollzwang jetzt einen ganz Schritt näher (und können die Gerüchte über einen tatsächlichen Fernseher aus Cupertino nun wirklich ad acta legen).

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Apps, die Zukunft des Fernsehens“ – wollen wir drüber sprechen?

Es wird noch eine ganze Weile dauern, aber ich sehe kein anderes Konzept, das TV-, Entertainment-, News- und vielleicht noch Shopping-Zeug besser verpackt. Ich glaube, Tim Cooks Statement, das alle Macht den Apps zuschreibt, stößt grundsätzlich auch nicht auf laute Gegenrufe.

Trotzdem ist die erste App-Auswahl klein – überraschend klein. Mit einem derartigen Vorlauf, den Entwickler diesmal für ein neues Apple-Gerät bekamen, hätte ich auf mehr Veröffentlichungen in der Start-Phase getippt.

Die essentiellen Kandidaten sind jedoch schon eingetrudelt: Infuse, Air Video und Plex beliefern Zuschauer, die ihren eigenen Heimserver ansteuern. Mediatheken-Apps und Spartenkanäle wie HBO, Netflix und YouTube sind vertreten. Außerdem finden sich im App Store über zwei Dutzend Spiele2, die es rechtfertigen einen Nimbus-Controller zu kaufen.

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Alle diese Apps haben meine TV-Gewohnheiten bereits positiv verändert. Könnte es noch mehr sein? Klar. Könnte die Auswahl noch viel größer sein? Natürlich. Mache ich mir Sorgen um das App-Store-Angebot auf dem Apple TV? Natürlich nicht. Natürlich noch nicht heute.

Fazit

Trotz aller Kritik: Der neue Apple TV ist meine Set-Top-Box der Wahl. AirPlay, der App Store, insgesamt tvOS und Details wie das Spulen durch Filme und TV Shows über die Siri Remote bekomme ich (in dieser hohen Qualität) nur hier. Den persönlichen Sprung, den ich vom alten Apple auf die neue Generation mache, bereitet mir – schlicht gesprochen – großen Spaß.

Doch damit endet die Geschichte der vierten Apple-TV-Generation, dem Neustart dieser Produktkategorie, nicht. Apples Set-Top-Box schreit nach Verbesserungen und es ist mindestens untypisch für Apple, dass wir hier nicht nur von der Software sprechen, sondern diesmal auch der Hardware.


  1. Vermeiden wir doch bitte eine Diskussion über die zwei unterschiedlichen Modelle. Die Aufteilung in 32- und 64-Gigabyte lässt sich technisch nicht rechtfertigen. Ich hätte mir gewünscht, dass Apple hier aufs Spiel mit der Marge verzichtet und eine verständlichere Verkaufspolitik an den Tag legt. 
  2. Guitar Hero, Skylanders, Canabalt, Beach Buggy Racing, SketchParty TV, Lumino City, Alto’s Adventure, Geometry Wars 3, Oceanhorn, Galaxy On Fire, Rayman Adventures, Asphalt 8, Crossy Road, Shadowmatic, Beat Sports, Transistor, Does not Commute, Octodad, Badland, Beneath the Lighthouse, Spaceteam, oder Xenowerk.