M! Games-Kolumne / Juni 2010

2010_M!Games07_Artike.jpg

Staatsfeind Nummer 1

Nintendos Präsident Satoru Iwata bezeichnete Apple in einem Interview kürzlich als „Enemy of the Future” – kulant übersetzt: „zukünftiger Kontrahent“.

In der jetzigen Situation interpretiere ich dies als Seitenhieb auf Sonys schwächelndes PSP-Angebot. Doch auch das mobile Flaggschiff des japanischen Videospiel-Pioniers hat seine zielorientierte Flugbahn bereits verlassen. Während die exklusiven Eigenentwicklungen von ‘The Legend of Zelda’ bis ‘Mario & Luigi’ weiter einen finanziellen Großteil zum Konzernerfolg beisteuern, wenden sich die Drittentwickler vom Platzhirschen ab. Electronic Arts setzt mittlerweile alle seine populären Marken zeitgleich in den festen App-Store-Sattel. Während hier die Devise im letzten Jahr noch “Kleinvieh macht auch Mist” lautete, stemmen die Download-Titel der 85 Millionen iPhone-OS-Kunden inzwischen einen erheblichen Anteil der plattformübergreifenden Entwicklungskosten für die Hosentaschenspielereien.

Vorzeige-Entwickler Square Enix geht einen Schritt weiter und veröffentlichte mit ‘Chaos Rings’ eine 3D-Rollenspielperle exklusiv für das Apple-Telefon. Auch Konami spuckt ins Weihwasser und schiebt ein iPhone-only-‘Castlevania’ ins Rennen.

Die fehlende Online-Strategie Nintendos und das sture Festhalten an happigen Preisen für ihre Module verwandelt sich im mobilen Konsolenbereich mehr und mehr zum eigenen Würgegriff. Mit einer Platzierung in den Top 10 der US-App-Store-Charts verkaufen sich nach Schätzungen zirka 3.500 Versionen eines iPhone-Spiels – nicht monatlich, nicht wöchentlich sondern täglich! Und trotzdem betreuen derzeit noch kleinere Teams oder unbekannte Third-Party-Studios der iPhone-Entwicklungen der großen Publisher. Eine Tendenz zu höheren Budgets und mehr Spielumfang ist jedoch absehbar. Mittlerweile benötige ich beide Hände zum Abzählen von erstklassigen RPGs, die eine zweistellige Spielzeit auf die Systemuhr hieven. Da meine Konsumzeit jedoch begrenzt ist, knapse ich diese von den landläufigen Feld-, Wald- und Wiesentiteln auf DS und PSP ab.

Die letzten Monate haben mir gezeigt, dass das iPhone genügend Unterhaltung für einen Wochenendausflug liefert. Eine zusätzliche Konsole samt Ladekabel mit den vielen kleinen Spielmodule sind nur eine zusätzliche Gepäckbelastung.

Software verkauft Hardware?

Sollten sich die unfreiwillig durchgesickerten Gerüchte über die neue Hardware-Generation vom iPhone im Juni bewahrheiten, bekommt die Plattform einen erneuten Schub. Verdoppelte Pixelzahl, ein größerer Akku und zwei Kameras werden ihre Auswirkungen auch auf die Kategorie ‘Spiele’ haben. Der ARM-Prozessor, der bereits im iPad werkelt, peitscht hochauflösende Bildpunkte über die Mobilfunkmattscheibe. Mit einer jährlichen System-Auffrischung kommt Schwung in den gemächlichen Rhythmus, den uns Nintendo und Sony seit Jahren vorschreiben. Selbst wenn nicht jeder das Hardware-Upgrade mitmacht, über neue Käufer kann sich die Apple-Plattform nicht beklagen, wie die riesige iPad-Nachfrage zeigt: Eine Millionen iPads gingen im ersten Monat über die Ladentische! Und selbst wenn viele (Spiele-)Entwickler das Potenzial zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausreizen, die enorme Hardware-Nachfrage erzeugt Druck auf die Software-Lieferanten. Bei den klassischen Konsolen ist dies genau anders herum. Dort heißt es: Software verkauft Hardware.

Ich finde es daher nicht überraschend, das Nintendos ansonsten so zurückhaltende Chefetage die Schlachtpläne aus der Schublade holt.

~~~~

2010_M!Games07_Cover.jpg

Für die M! Games, das dienstälteste deutschsprachige Videospiel-Magazin, verfasse ich eine monatliche Kolumne zum Thema iPhone. Die Ausgabe 201 befindet sich ab Freitag am Kiosk. Über Feedback zum aktuellen Artikel würde ich mich sehr freuen.